Erschienen in KATHY 11_2023-3 Fokus
Über die existentielle Verbindung von Klima und Ernährung
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Zum Leben brauchen wir Menschen mehr als nur Ernährung. Das sagt auch schon die Bibel. Ums Essen kommen wir aber auch nicht herum. Dieser Tatsache ist sich schon die jüdische Tradition sehr bewusst. Verschiedenste Essensregeln und –rituale von Fastenzeiten, Speisevorschriften bis hin zu rituellen Mählern wie dem Pessachmahl prägen sie. Essen ist Lebenserhalt und kann immer auch Fest sein.
Die Redewendung: «Du bist, was du isst!» zeigt die existentielle Bedeutung der Ernährung auf der individuellen Ebene. Die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Klima und Ernährung führt zur Einsicht, dass diese Aussage durchaus erweitert werden kann auf die Menschheit. Unsere Zukunft global als Zivilisation hängt (auch) daran, wie das, was wir essen, sich zusammensetzt, produziert und verarbeitet wird. Mit der “Planetary Health Diet” ist Zukunft für eine Zivilisation in planetaren Grenzen möglich.
Essen und Religion
Die auf der jüdischen aufbauende christliche Tradition wird um ein besonderes Mahl herum aufgebaut. Jesus, der von seinen Feinden als «Fresser und Säufer» diffamiert wurde, hat sich immer wieder mit Menschen an den Tisch gesetzt, gegessen und Gemeinschaft gefeiert. Beim Abschiedsmahl vor seinem sich andeutenden gewaltsamen Tod setzte er ein Zeichen mit einer Neuinterpretation von Elementen des jüdischen Pessachmahls. Er teilte Brot und Wein mit der Tischrunde und deutete sie als Erinnerungszeichen an ihn und an das, was er vorgelebt hatte.
Die ersten Anhänger/innen der Jesusbewegung haben sich auch nach seinem Tod, angetrieben von ihrer Auferstehungserfahrung, neu getroffen und auch dann immer wieder miteinander gegessen. Sie haben im rituellen Mahl Brot und Wein geteilt, sie neu auf Jesus hin gedeutet. Im Anschluss daran wurde in den Urgemeinden auch immer schon nährendes Essen miteinander geteilt und damit die Armen gespeist.
Essen ist Leben ist Verbundenheit
Wir sprechen heute bei unserem katholisch-traditionellen rituellen Mahl von Eucharistie, was Danksagung bedeutet und als Ritual des grossen Danks für das von Gott geschenkte Leben und das neue Leben der Auferstehung verstanden werden kann. Die Kommunion, die wir in Form der einfachen Hostienbrote teilen, ist Symbol für die verbindende und Gemeinschaft (lat. Communio) bildende Kraft, die im gemeinsamen Essen steckt. Was und wie wir essen, besonders im religiösen Kontext essen, deutet unser Leben.
Unser Leben ist Kommunion, Gemeinschaft und Verbundenheit: Christus als menschgewordener Gott verbindet uns mit den Menschen um uns herum. Die göttliche Liebe als alles verbindendes und lebenserhaltendes Christus-Prinzip bindet uns ein in die Schöpfung, in all das, wodurch und mit dem zusammen wir leben. Wir sind Communio, Gemeinschaft, zusammengehalten von der verbindenden Kraft Gottes: Liebe.
Die Menschheit verändert den Planeten fundamental
Unsere Rituale drücken unsere biologisch-systemische Eingebundenheit und existenzielle Verbundenheit mit Natur und Planet aus. Die systemische Betrachtung unseres Seins legt es auch aus wissenschaftlicher Sicht nahe: Was wir alltäglich essen, hat einen Einfluss auf uns, unsere Gesundheit und es hat auch Auswirkungen auf den Planeten und seine Wechselwirkungen.
Erdgeschichtlich sind die vergangenen 10’000 Jahre von einem recht stabilen Klima geprägt. Die Geowissenschaft spricht vom Erdzeitalters des Holozän. Es ist zentral wichtig für unsere Zivilisationsgeschichte. Seine relativ stabilen klimatischen Bedingungen haben die Entwicklung von Landwirtschaft und parallel dazu einer Städtekultur, die zu verschiedenen technischen Revolutionen beigetragen hat, erst ermöglicht. Dass Landwirtschaft funktioniert, ist abhängig von einigermassen zuverlässigen Jahreszeiten mit relativ stabilen Wetterzyklen.
Das galt bis vor ca 100-150 Jahren. Seit dann steigen die globalen Durchschnittstemperaturen in einem riesigen Tempo bleibend über Werte, die es in den vergangenen 10’000 Jahren nie gegeben hat. Wissenschaftlich erfasste Temperaturreihen und Messungen bestätigen die Klimamodelle, die einen wesentlichen Zusammenhang zwischen dem CO2-Gehalt der Atmosphäre und der globalen Durchschnittstemperatur feststellen. Der Anstieg des CO2-Gehalts ist, mit Radiokarbonmethode nachgewiesen, 100% menschengemacht. Er ist verursacht durch die massive Förderung von fossilen Brennstoffen (Kohle, Öl und Gas) und ihre Verbrennung zur Gewinnung von Energie seit der Industrialisierung bis heute.
Überhitzung durch zusätzliches CO2
Durch diese Verbrennung ist «alter» in der Erde eingelagerter Kohlenstoff aus der Zeit der Dinosaurier als CO2 in die Atmosphäre gelangt. Und zwar in einem Mass, das den Anteil von CO2 in der Atmosphäre um die Hälfte erhöht hat (von 280 ppm auf heute über 420pp). Das einmal ausgestossene CO2 bleibt in der Atmosphäre, sammelt sich an und steigert den Treibhauseffekt, der zu einer Über-Erhitzung der Erde führt. Das bringt unser Klima aus dem Gleichgewicht. Die Jahreszeiten sind weniger zuverlässig. Erhöhte Luft- und Meerestemperaturen führen zu veränderten Wetterdynamiken. Es kommt zu mehr Extremwetterereignissen: Es gibt mehr und stärkere Stürme. Hitzewellen und Dürren auf der einen und Starkregenereignisse mit Überschwemmungen auf der anderen Seite. Das Eis, das an den Polen und in Gletschern teilweise seit Jahrhunderten gespeichert ist, schmilzt. Die Meeresspiegel steigen. Die Trinkwasserspeicher werden kleiner. Forscher rechnen bereits jetzt sicher mit 27cm Meeresspiegelerhöhung bis zum Jahr 2100. «Bis Ende des Jahrhunderts müssen wir je nach Klimaschutz von einem halben Meter bis zu einem Meter ausgehen», wenn wir einfach weiter so machen wie bisher. «Extreme Szenarien gehen noch höher: In Grönland sind noch etwa sechs Meter Meeresspiegel gespeichert, in der Antarktis etwa 60 Meter», sagte kürzlich Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich in einem Interview mit nau.ch.
Der Meeresspiegelanstieg bedroht grossflächig Gebiete in jetzt schon armen Ländern wie Bangladesch, aber auch Pazifische Inseln, weil die zusätzliche Wassermenge auch die Verheerung bei Sturmfluten verstärkt oder ganze Inseln einfach buchstäblich im Meer versinken. Hier wird die Ungerechtigkeit im Ganzen sehr gut sichtbar. Denn diejenigen, die am meisten unter den Folgen der Klimakrise leiden, sind überwiegend nicht diejenigen, die sie verursacht haben und verursachen.
Die fünf Kerninfos zum Klimawandel in nur 20 Worten: 1. Er ist real. 2. Wir sind die Ursache. 3. Er ist gefährlich. 4. Die Fachleute sind sich einig. 5. Wir können noch etwas tun. |
Ernährung liefert und verbraucht Energie
Die Lage ist also sehr ernst. Es geht für uns als Menschheit darum, die CO2-Emissionen (und die anderen Treibhausgase) maximal zu reduzieren. Darum sind auch wir als Schweizer und Schweizerinnen und als Individuen mitverantwortlich, unseren Treibhausgasausstoss zu minimieren. Unsere Ernährung hat neben dem generellen Überkonsum und der Mobilität (v. a. Flüge und fossilbetriebene Individualmobile!) das grösste Potential zur CO2-Reduktion auf individueller Ebene.
Die pflanzlichen Lebensmittel, die wir konsumieren, werden heute oft mit grossem Energieaufwand von fossilbetriebenen Landwirtschaftsmaschinen angebaut und geerntet. Je nach globalem Produktionsstandort sind aber auch die Arbeitsbedingungen und Abhängigkeiten der Arbeitenden in der Landwirtschaft problematisch: lange Arbeitszeiten in Hitze, Belastung durch Pestizide, schlechte Bezahlung bis hin zu Sklaverei ähnlichen Verhältnissen.
Auch der Transport und die Weiterverarbeitung zu sogenannten Convenience-Produkten (vorverarbeiteten Produkten oder Fertigmahlzeiten) verbraucht wiederum (meist noch immer fossil erzeugte) Energie. Über die Lieferkette hinweg müssen viele Lebensmittel energieintensiv gekühlt und gelagert werden.
Wenn pflanzliche Lebensmittel zur «Fleischproduktion» an Tiere verfüttert werden, braucht es bis zu einem 20fachen davon, um am Ende für uns Menschen denselben Nährwert zu erreichen. Für deren Produktion (v. a. Futter-Soja) werden vielerorts alte Regenwaldbestände abgeholzt oder abgebrannt, womit zusätzlich gespeichertes CO2 in die Atmosphäre gelangt. Tierische Produkte sind daher generell sehr energie- und CO2-intensiv und es braucht auch viel mehr Wasser als zur Herstellung der meisten pflanzlichen Nahrungsmittel. Dort, wo Futtersoja für den Export angepflanzt wird, fehlt die Fläche für die menschliche Nahrung vor Ort.
Ernährung als grosser Hebel
Marco Springmann, Leiter des «Programme on the Future of Food» der Oxford Martin School sagt: «Ohne eine Änderung hin zu einer gesünderen und Ressourcen schonenden Ernährungsweise, die weit weniger tierische Lebensmittel beinhaltet, gibt es kaum eine Chance den Klimawandel ausreichend zu begrenzen» (in: Mensch Erde, Hirschhausen 141)
Prof. Johan Rockström PhD vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung & Stockholm Resilience Centre sagt: «Die globale Nahrungsmittelproduktion bedroht die Stabilität und die Widerstandsfähigkeit des Klimas. Sie ist die grösste Ursache für Umweltzerstörung und die Überschreitung der planetaren Grenzen. Zusammengenommen ist das Ergebnis katastrophal. Eine radikale Umgestaltung des globalen Ernährungssystems ist darum dringend erforderlich. Wenn wir nicht handeln, riskiert die Welt, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu verpassen und die Grenzen des Pariser Abkommens zu überschreiten.» Wir stehen vor einem doppelten Problem: Die aktuellen Produktionswesen verstärken die Erhitzung und die stärkere Erhitzung gefährdet die Erträge und die Nahrungsmittelversorgung der Menschheit. Die klimatischen Grundlagen für die Lebensmittelproduktion verändern sich so schnell, dass in vielen Anbaugebieten die Landwirtschaft nicht mit den notwendigen Anpassungen in den Produktionsweisen oder in der (z. B. hitzeresistenteren) Artenauswahl hinterherkommt. Die Auszehrung der Böden durch intensive Produktion und ihre Auswaschung durch häufiger auftretende Starkregenfälle gefährdet ihre langfristige Fruchtbarkeit. Es kommt zu Ernteeinbussen und –ausfällen.
Die Diät für einen gesunden Planeten
Als einzelne:r kann ich meinen individuellen CO2-Fussabdruck verkleinern und tierische Produkte maximal reduzieren. Die Umstellung von einer Ernährung mit viel Fleisch- und Milchprodukten, wie sie bei uns üblich ist, zu einer mit wenig tierischen Produkten, ohne verarbeitete und mit weitgehend lokalen Produkten senkt die Belastung der Atmosphäre von ca. fünf Tonnen CO2-Äquivalenten auf weniger als eine Tonne! (Quelle: Klimagespräche Fastenaktion)
Die «EAT-Lancet Commission», eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftler:innen hat Lebensmittel und deren Umweltbelastung vom Feld bis auf den Teller betrachtet. So wurde ein Modell der Ernährung auf wissenschaftlicher Basis erarbeitet, mit dem künftig 10 Mrd. Menschen ernährt werden können, ohne dass dabei der Planet überlastet wird. Es ergibt sich eine grundsätzlich «flexitarische» Ernährungsform, die ein Minimum an tierischen Produkten beinhaltet. Idealerweise werden diese auch noch in einer bodenaufbauenden Landwirtschaftsform erzeugt.
Diese sogenannte «Planetary Health Diet» schont nicht nur die Ressourcen, hält planetare Grenzen ein und beschränkt so auch die CO2-Belastung, sondern ist auch gesundheitlich vorteilhaft. Sie würde geschätzt etwa 11 Millionen vorzeitige Todesfälle durch ernährungs(mit)bedingte Erkrankungen verhindern. Der Bericht (auf Englisch) kann hier heruntergeladen werden: https://eatforum.org/content/uploads/2019/07/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf
Einfach gesagt sollte das Essen vom Volumen her etwa zur «Hälfte aus Gemüse und Obst bestehen; die andere Hälfte sollte, gemessen am Kaloriengehalt, hauptsächlich aus Vollkornprodukten, pflanzlichen Eiweißquellen, ungesättigten pflanzlichen Ölen und (optional) bescheidenen Mengen an tierischen Eiweißquellen bestehen.
So sähe dann ein idealer Teller aus:
Bild-Quelle: https://eatforum.org/content/uploads/2019/07/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf (Ü: RAM)
Einfach anfangen
Ein möglicher individueller erster Schritt könnte sein, an bestimmten Wochentagen kein Fleisch oder keine Tierprodukte mehr zu essen und dann spannende neue Rezepte auszuprobieren. Es geht darum, lustvoll Neues zu entdecken und den Gewinn der Veränderung zu erleben. So entdecken wir vielleicht auch neu den Wert von «Fastenzeiten». Im individuellen Handeln stossen wir allerdings auch an Grenzen. Lange eingespielte Strukturen machen das individuelle Bemühen oft lächerlich oder führen es ad absurdum. Es braucht neue Strukturen, die das ökologische und sozial-gerechte Handeln erleichtern und «normal» oder «logisch» machen. Dazu braucht es auch gesellschaftliche und politische Veränderungen und Regelanpassungen. Wir (in der Schweiz und im planetaren Norden) haben Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt. Also eigentlich über den Verhältnissen, die der Natur eine Regeneration unserer «verbrauchten» Ressourcen ermöglicht hätten.
Die Planetary Health Diet zeigt: Es ist möglich für alle Menschen genug und gesund zu Essen zu produzieren und dennoch in den planetaren Grenzen zu bleiben. Gehen wir’s gemeinsam an? Es lohnt sich für uns und unsere Zukunft. En Guete!
Es gibt auch einen spannenden Migros Podcast zur «Planetary Health Diet»: https://player.captivate.fm/episode/df0fb223-28d4-432e-9c1f-5e4917d1bfb5
Hier ist der Menüplan der Zukunft sehr gut auf Deutsch aufgearbeitet: https://impuls.migros.ch/de/ernaehrung/ernaehrungsformen/saisonale-regionale-ernaehrung/planetary-health-diet oder kurz: www.bit.ly/3pKQ43b
Roman Ambühl, Ehemann und Vater von zwei erwachsenen Töchtern ist Pfarreiseelsorger in St. Johannes Zug. Er versteht sich als SINNsorger und engagiert sich auch in der Freizeit für Ökologie und das Gemeinwohl.